Dreadnought – Fürchte nichts! (Rezension)

Private Eye ist normalerweise ein Rollenspiel, das im auslaufenden 19. Jahrhundert spielt, also zu Zeiten der Königin Victoria.

Die Helden der geheimnisvollen Abenteuer sind gemeinhin Detektive oder Polizisten, aber gelegentlich auch normale Bürger, gewöhnlich aus wohlsituierten Kreisen, die sich das Ermitteln auch leisten können.
Häufig spielen sich die Fälle im Bereich der Landhaus-Krimis ab, die man auch von den großen Vorbildern wie Sherlock Holmes oder Miss Marple kennt.

Dreadnought – Fürchte nichts! bricht jedoch gleich mit mehreren dieser Traditionen.

Das titelgebende Schiff (der Beginn des modernen Schlachtschiffbaus) lief erst 1906 vom Stapel, also nach dem üblichen Zeitfenster für Private Eye, und die Helden sind nicht die normalen Gentlemen, sondern haben am besten eine offizielle und staatstragende Ermittlungsposition inne (dazu jedoch später mehr).

Nur der ursprüngliche Tatort entspricht noch der eigentlichen Erwartungshaltung, spielt sich der Einstieg in den Fall doch im Wohnhaus einer betuchten Familie ab.

Inhalt

Thaddeus Whistlespoon, Abteilungsleiter im Marineamt in London, kommt in seinem Haus in Chelsea zu Tode, scheinbar aufgrund eines plötzlichen Herzinfarkts.

Doch wenn die Ermittler sich die Angelegenheit näher betrachten, wird schnell klar, dass diese erste Einschätzung des untersuchenden Arztes nicht der Wahrheit entspricht (wer hätte das gedacht?).

Stattdessen stolpern die Ermittler in ein verwirrendes Durcheinander von Gier, Hass und Spionage, in dessen Mittelpunkt auch, aber nicht nur die Pläne des neuen Superschlachtschiffs Dreadnought stehen.

Bewertung

Es fällt schwer, etwas über den Inhalt von Dreadnought – Fürchte nichts! zu erzählen, ohne das eine oder andere Geheimnis zu verraten. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich nicht bereits mit dieser kurzen Zusammenfassung zu viel gesagt habe (wobei, dass es um das Schlachtschiff Dreadnought geht, das ja schon auf dem Cover zu sehen ist, dürfte wohl kein allzu großer Spoiler sein).

Unabhängig davon ist der vorliegenden Band alles andere als ein geradliniges Abenteuer, bei dem die Detektive von A nach B nach C ziehen, um einen Fall zu lösen.

Stattdessen bietet das Szenario ein weites Feld an Untaten und Handlungselementen, die weit über den anfänglichen Mord hinausgehen. Dabei stoßen sie auf ständig neue Verwicklungen und neue Mitwisser und Mittäter, die auf die verschiedenste Art und Weise mit den anderen Nichtspielercharakteren zusammenhängen.

Dies geht so weit, dass ich vermute, dass nur die wenigsten Detektive es wirklich schaffen werden, alle Spuren bis zu deren Ende zu verfolgen.

Und hier liegt sowohl die größte Stärke als auch die größte Schwäche des Abenteuers. Wenn die Spieler den vermutlichen Mord als einzigen Handlungsstrang ansehen, so können sie diesen möglicherweise aufklären, ohne mit den anderen Elementen des Abenteuers überhaupt in Berührung zu kommen.

Das wäre allerdings schade, denn seine ganze Wirkung entfaltet Dreadnought – Fürchte nichts! vor allem im Zusammenspiel der verschiedenen Handlungsebenen. Von daher würde ich auf jeden Fall dazu raten, dieses Abenteuer mit wenigstens einem Charakter zu beginnen, der den offiziellen Auftrag hat, die genauen Hintergründe des Todesfalls zu untersuchen, vor allem im Zusammenhang mit dem Dreadnought-Projekt, mit dem der Tote zu tun hatte.

Zwar werden auch Einstiegsmöglichkeiten für andere Charaktere geschildert, aber im eigentlichen Text stößt man dann doch immer wieder auf Aspekte, bei denen man die Logik ein wenig biegen muss, um „normale“ Charaktere auch nur in die Nähe der wichtigen Ereignisse zu bringen (ich sage nur: Geheimhaltung!).

Da das ganze Abenteuer aber sowieso aus dem zeitlichen Rahmen einer normalen Kampagne für Private Eye fällt, kann man es auch einfach als One-Shot spielen, so dass dieser Punkt nicht allzu sehr ins Gewicht fällt.

Präsentation

Das Abenteuer liegt in einem sauberen Graustufen-Layout vor, wie man es von der Redaktion Phantastik gewohnt ist.

Der Aufbau ist klar strukturiert und folgt der grundsätzlichen Logik, die man bereits aus anderen Abenteuern für Private Eye kennt. Besonders positiv fällt bei diesem Abenteuer auf, dass die wichtigsten Informationen sich noch einmal als Kurz-Referenz im Anhang des Bandes befinden, zusammen mit den (sehr umfangreichen) Handouts.

Der größte Teil der Bebilderung erfolgt wie üblich durch mehr oder weniger zeitgenössische Fotos, die das Lokalkolorit und auch den Charakter der jeweiligen Personen sehr gut einfangen.

Positiv genannt werden müssen jedoch auf jeden Fall die von Chris Schlicht beigesteuerten Karten des Tatorts, bei denen man sich schon darauf freut, sie den Spielern vorlegen zu können.

Das Gleiche gilt auch für sechs Seiten liebevoll gestalteter Handouts, die am Tisch bestimmt für die rechte Atmosphäre sorgen.

Ärgerlich ist nur, dass sämtliche Seitenverweise im Abenteuer um zwei Seiten verschoben sind, was man zwar leicht „umrechnen“ kann, was aber trotzdem ein unnötiger Flüchtigkeitsfehler ist (auf entsprechende Rückfrage hat man mir vom Verlag aus versichert, dass dies in der PDF-Version und in zukünftigen Druck-Versionen korrigiert wird).

Fazit

Wie bereits erwähnt, ist Dreadnought – Fürchte nichts! ein Abenteuer, das sich aus dem manchmal doch recht engen Korsett von Private Eye auf interessante Weise befreit.

Da das Dreadnought-Projekt, das die Ereignisse des Abenteuers so stark beeinflusst, letztendlich aber doch nur ein Plot-Element ist, das vor allem existiert, um die Handlung voranzutreiben, könnte man das Szenario durch das Austauschen dieses Projekts auch leicht in eine andere Zeitebene versetzen. Doch auch dann muss man natürlich darauf achten, welche Charaktere man auf die Handlung loslässt.

Wegen der offenen Struktur des Abenteuers würde ich diesen Band auf jeden Fall nur erfahrenen Spielleitern empfehlen, die sich zutrauen, die Spieler auf ihrem Weg durch die verschiedenen Teile der Handlung nicht zu verlieren.

Wem das jedoch gelingt, der wird sicherlich viel Spaß an den Umtrieben der beteiligten Personen haben.

Produkt-Informationen

Verlag: Redaktion Phantastik (2018)
Autor: Jens Holzinger
Bebilderung: Chris Schlicht
Layout: Sylvia Schlüter
Umfang: 60 Seiten
Preis (Druckversion): 13,95 €
Preis (PDF-Version): 7,00 €


Dreadnought – Fürchte nichts! kann bestellt werden bei der Redaktion Phantastik:
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