Die Internationalen Spieltage in Essen – Alles eine Frage der Wahrnehmung …

Ich habe mich diesmal recht akribisch auf die Internationalen Spieltage 2016 vorbereitet, und genauso akribisch bin ich auch an die Nachbereitung herangegangen.

Von daher, obwohl die Messe schon so lange her zu sein scheint, bin ich erst jetzt fertig damit, all die Podcasts, Messeschilderungen und Erfahrungsberichte ‚abzuarbeiten‘, die sich seitdem angesammelt haben.

Dabei war ich immer wieder verblüfft, wie sehr sich meine persönlichen Eindrücke von denen anderer Leute unterscheiden, so verblüfft, dass ich dazu einfach mal etwas schreiben musste.

Hier also ein paar ganz persönliche und bestimmt in keinster Weise allgemeingültige Gedanken zur SPIEL ’16.

Die interessantesten Spiele – oder „Was ist daran interessant?“

Schon in den Vorberichten zur Messe ist mir aufgefallen, dass viele der genannten Spiele für mich ungefähr so interessant sind, wie mir eine Kegelkugel auf den großen Zeh fallen zu lassen.

Die hundertste Variante von „Wir bauen eine Stadt/ein Reich/ein Was-auch-immer und schieben Figürchen zu verschiedenen Orten.“ lässt mein Herz nicht schneller schlagen, und auch ein Spiel, das vor allem dadurch zu ‚brillieren‘ scheint, dass es ganz viel Material und ganz viel Regelbuch und ganz viel alles hat, verleitet mich nicht zu spontanen Jubelarien.

Andere Spiele funktionieren nur mit bestimmten Spielerzahlen, selbst wenn sie für andere angegeben werden (ja, ich sehe Euch an, Captain Sonar und Futschikato), und werden trotzdem teilweise abgefeiert, als würden sie das Spielen neu erfinden.

Dafür gehen andere Sachen, vor allem von kleineren Verlagen und oft aus den ungeliebten hinteren Hallen (dazu später mehr), völlig unter und werden größtenteils ignoriert.

Legacy-Spiele – oder „Ich mag meine Spiele nicht kaputtmachen.“

Die Begeisterung der Spielegemeinde für die sogenannten Legacy-Spiele ist auf der einen Seite verständlich, denn ein Spiel, bei dem sich die Regeln ändern, je nachdem, wie man die vorhergehende Runde gespielt hat, hat einen besonderen Reiz.

Nun widerstrebt es mir aber, ein Spiel partiell zu zerstören, um damit zu spielen, egal, ob ich Karten zerreißen, Spielmaterial bekleben oder irgendwelche verdeckten Felder freirubbeln muss. Ein so „bearbeitetes“ Spiel kann nur noch ich spielen, und das auch nur mit denen, die mit mir begonnen haben.

Wehe dem, der seine Spielrunde nicht mehr in der Originalbesetzung zusammentrommeln kann, denn ein Neuling muss sich jetzt mit dem zurechtfinden, was andere vor ihm getan haben … nicht sehr befriedigend für diesen armen Tropf.

Und wenn ich durch bin, kann ich das Spiel nur noch verschrotten, denn niemand anders kann noch etwas damit anfangen. Das Spiel als Wegwerfartikel!

Na ja, bitte, wer sowas möchte … ich jedenfalls nicht …

Autoren-Fanboys und -girls … oder „Wer?“

Inzwischen sind wir an dem Punkt angekommen, wo Spieleautoren Fans haben.

Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn mir auch viele der im Vorfeld der Messe genannten Namen wenig bis nichts sagen.

Viel schlimmer finde ich aber die plötzlich auftauchende Tendenz, dass ein Spiel allein deshalb gut sein MUSS, weil es von diesem oder jenen Autor verfasst wurde. Da wird dann „Der neue Scherwinski“ (Name zum Schutz der Betroffenen abgeändert) bereits vor der Erstveröffentlichung blind ‚gekauft‘ (was völlig okay ist), aber eben leider auch höchst öffentlich und ebenso blind als eins der besten Spiele der Messe abgefeiert.

Und das finde ich nicht mehr okay. Ich bin selbst ein Fan bestimmter Autoren, Regisseure, Grafiker, Schauspieler oder Musiker, aber ganz ehrlich, ein wenig differenzierter äußere ich meine Vorfreude dann doch, denn bislang hat jeder Künstler in meinem Fan-Universum schon mal einen Aussetzer gehabt, der einfach nur Käse ist.

Wenn wir das nicht zugeben, bewegen wir uns schnell auf das Niveau von Boyband-Fans zu, die einfach kritiklos von vornherein alles toll finden, was von ihren Helden kommt.

Die ungeliebten hinteren Hallen – oder „Halle 4, 6 und 7 waren leer?“

Immer wieder musste ich außerdem hören, wie leer die hinteren Hallen der Messe waren, dass dort keine interessanten Spiele zu finden waren, dass Verlage hierhin ‚verbannt‘ werden.

Ja, in den Hallen hinter der grandios überfüllten Halle 3 wurde man nicht auf Schritt und Tritt zerquetscht, das ist richtig. Es gab auch keine großen Verlage dort, die mit grandiosen Messefestungen die Gänge beherrschten.

Aber das tat der Spielfreude und auch dem Besucherstrom keinen Abbruch. Viele Stände waren umlagert von interessierten Besuchern, und selbst nach einem Dutzend Versuchen an verschiedenen Tagen ist es mir nicht gelungen, alle Sachen anzutesten, die für mich interessant gewesen wären.

Und JA, es gab interessante Spiele in den hinteren Hallen zu entdecken, oftmals von kleineren Herausgebern aus dem Ausland, die sich freuen, wenn man sie besucht und mit ihnen spielt, wenn man sie weiter empfiehlt und vielleicht sogar einen Bericht über ihre Spiele veröffentlicht.

Nichts gegen die großen Verlage, aber ich liebe die Begeisterung eines Autors beim Spielen seines eigenen Werks. Ich liebe die kleinen und kleinsten Spielefirmen, die aus ihren begrenzten Mitteln so viel Spiel wie möglich hervor zaubern, die ein Kartenspiel zu einem Erlebnis und ein kleines Brettspiel zu einem Abenteuer machen.

Es gibt sie, und zwar überall auf der Messe, manchmal auch zwischen den Großen der Branche veborgen, doch man muss sie halt suchen mit ihren kleinen Ständen.

Ich jedenfalls liebe die Hallen 4, 6 und 7 und verbringe oft mehr Zeit dort als in den überlaufenen  Gängen der ‚vorderen‘ Messe.

Es gibt immer weniger Rollenspiel – oder „Wo seid ihr Rollenspieler denn?“

Jedes Jahr die gleiche Leier … die SPIEL lohnt sich nicht für Rollenspieler, es gibt immer weniger Material, immer weniger Verlage.

Hm … wart ihr eigentlich schon einmal dort in den letzten Jahren? Ja, es ist vor allem eine Brett- und Kartenspiel-Messe, aber eben auch eine Rollenspiel-Messe. Die meisten deutschen Verlage sind vor Ort, und inzwischen auch immer mehr internationale Mitbewerber. Es erscheinen Neuheiten, man kann mit Autoren und Verlagsleuten reden, ihnen die Meinung geigen oder ihnen eigene Projekte vorschlagen, es gibt sogar wieder Proberunden (wenn auch aufgrund der Standgröße vor allem bei den Platzhirschen der Szene).

Davon abgesehen gibt es Tabletops, Gesellschaftsspiele jeder Art mit phantastischem Hintergrund, Nerdkram, bis der Arzt kommt, jede Menge Läden … was genau wollt ihr noch, damit sich die SPIEL in euren Augen auch als Rollenspiel-Event qualifiziert?

Kommt vorbei, habt Spaß, lasst euch die SPIEL nicht von den Gesellschaftsspielern wegnehmen.

Mein extrem persönliches Fazit – oder „Ich sehe das anders!“

Jeder Dauerbesucher erlebt sicherlich seine eigene Version der Internationalen Spieltage. Somit ist meine SPIEL nicht eure SPIEL, so viel ist klar.

Bestimmt kann ich in manchen Bereichen von euch lernen und mich für andere Dinge interessieren, aber ich würde mir auch wünschen, dass einige Leute sich aus ihrer eigenen Komfortzone heraus wagen und ihren Blick mal dorthin richten, wo ich normalerweise hin schaue.

Es muss euch ja nicht gleich in Ekstase versetzen, was ihr dort seht, aber so erlebt ihr vielleicht auch eine Messe, die ihr vorher nicht gekannt habt.

Ist das zu viel verlangt? Möglich, aber sich etwas zu wünschen hat noch niemandem geschadet.

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